Hochgradig maligne oder, kurz, hochmaligne Gliome sind Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS-Tumoren). In diesem Text erhalten Sie die wichtigsten Information zu Krankheitsbild, Häufigkeit, möglichen Ursachen und Symptomen sowie zu Diagnose, Therapieplanung, Behandlung und Prognose der Erkrankung.
Autor: Maria Yiallouros, Erstellt am 25.09.2023, Freigabe: Prof. Dr. med. Christof Kramm, Zuletzt geändert: 25.09.2023 https://dx.doi.org/10.1591/poh.hm-gliome.patinfo.kurz.1.20141217
Hochmaligne (hochgradig bösartige) Gliome sind Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS). Sie gehören zu den soliden Tumoren und entstehen infolge einer Entartung von Zellen des Gehirns oder Rückenmarks. Da sie direkt vom Zentralnervensystem ausgehen, werden sie auch als primäre ZNS-Tumoren bezeichnet. Damit werden sie von Absiedlungen (Metastasen) bösartiger Tumoren abgegrenzt, die in einem anderen Organ entstanden sind.
Hochmaligne Gliome (auch hochgradig maligne oder hochgradige Gliome genannt) kommen im Kindes- und Jugendalter nur selten vor. Sie sind aber besonders bösartig, da sie schnell und aggressiv wachsen und dabei das gesunde Hirngewebe zerstören. Die Zellen dieser Tumoren können im Gehirn mehrere Zentimeter weit wandern und dadurch zur Bildung neuer Tumoren führen. Unbehandelt führen hochmaligne Gliome innerhalb von wenigen Monaten zum Tod. Eine Behandlung ist aufgrund des raschen und infiltrierenden Wachstums oft schwierig.
Hochmaligne Gliome machen etwa 15 bis 20 % der ZNS-Tumoren bei Kindern und Jugendlichen aus. Sie können in allen Altersgruppen vorkommen, Kinder vor dem dritten Lebensjahr sind allerdings nur sehr selten betroffen. In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 70 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren neu an einem hochmalignen Gliom. Dies entspricht einer Häufigkeit von fünf bis zehn Neuerkrankungen pro 1.000.000 Kinder. Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen.
Je nach Lage, Herkunft und Bösartigkeit des Tumors lassen sich verschiedene Formen von hochmalignen Gliomen unterscheiden.
Gliome im Bereich des Hirnstamms (Ponsgliome)
Hochmaligne Gliome des Hirnstamms, so genannte "typische diffus intrinsische Ponsgliome" (sowie feingeweblich und molekulargenetisch diagnostizierte "diffuse Mittelliniengliome HR K27M mutiert WHO-Grad IV", sofern sie sich im Hirnstamm befinden), machen etwa ein Drittel aller hochmalignen Gliome aus. Sie haben aufgrund ihrer Lage im Bereich der Brücke (Pons) eine besonders schlechte Prognose.
Die Brücke (Pons) ist ein Bereich im Hirnstamm, durch den alle wichtigen Nervenverbindungen vom Gehirn zu den Gliedmaßen sowie von den Gliedmaßen zum Gehirn laufen. Selbst ein kleiner Tumor kann hier einen sehr schnellen Krankheitsverlauf nehmen und rasch zu Lähmungen führen.
Gliome in anderen Bereiches des Gehirns
Etwa zwei Drittel der hochmalignen Gliome kommen in anderen Hirnbereichen, insbesondere in der Großhirnrinde, vor. Diese Gliome lassen sich anhand feingeweblicher Unterschiede, die Hinweise auf Herkunft und Bösartigkeit des Tumors geben, weiter unterteilen. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um Tumoren, die nach einer Einteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Klassifikation) als WHO-Grad-III- oder -IV-Tumoren eingestuft werden.
Im Kindes- und Jugendalter kommen vor allem anaplastische Astrozytome Grad III und Glioblastome Grad IV vor. Andere Tumortypen sind ausgesprochen selten. Dies gilt auch für die Gliomatosis cerebri, eine Tumorart, die durch eine besonders starke Infiltration und Ausdehnung in das umliegende Gewebe gekennzeichnet ist. Obwohl seine Zellen oft nur geringgradig bösartig sind, wird der Tumor aufgrund seines besonderen Wachstumsmusters zu den hochgradigen Gliomen gezählt.
Gut zu wissen: Die verschiedenen Formen der hochmalignen Gliome treten nicht nur unterschiedlich häufig auf, sie weisen zum Teil auch Unterschiede in ihrem Wachstumsverhalten, im Krankheitsverlauf und in ihrer Heilbarkeit (Prognose) auf.
Anmerkung zum typischen diffusen intrinsischen Ponsgliome (DIPG): DIPG, die normalerweise per Bildgebung diagnostiziert werden, erweisen sich bei einer feingeweblichen und molekulargenetischen Untersuchung häufig als „diffuse Mittelliniengliome Histon 3 K27M mutiert (WHO III°)", die in der neuen WHO-Klassifikation als eigener Tumortyp geführt werden. Es handelt sich jedoch trotz der unterschiedlichen Benennung, die auf der Art der Diagnosefindung beruht, oft um die gleichen Tumoren.
Hochmaligne Gliome entstehen durch bösartige Veränderung (Entartung) von Zellen des Nervenstützgewebes, den Gliazellen. Die Ursache dafür ist noch weitgehend ungeklärt.
Bekannt ist, dass Kinder und Jugendliche mit bestimmten angeborenen Fehlbildungskrankheiten (zum Beispiel einem Li-Fraumeni-Syndrom oder Turcot-Syndrom) ein erhöhtes Risiko haben, an einem hochmalignen Gliom zu erkranken. Aufgrund der Veranlagung für Tumoren werden solche genetisch bedingten Krankheitsbilder auch als Krebsprädispositionssyndrome bezeichnet. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Gliomzellen Veränderungen bestimmter Gene oder Chromosomen aufweisen. Daraus resultierende Gendefekte können ursächlich daran beteiligt sein, dass aus einer gesunden Zelle eine Gliomzelle wird. Generell werden solche im Tumorgewebe nachweisbaren Genveränderungen aber nicht vererbt und entstehen höchstwahrscheinlich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Entwicklung.
Auch durch eine Bestrahlungsbehandlung des Schädels im Kindesalter (zum Beispiel bei einer akuten Leukämie oder einem bösartigen Augentumor wie dem Retinoblastom) nimmt das Risiko für einen späteren Hirntumor zu. Eine Chemotherapie kann ebenfalls, wenn auch seltener, die Entstehung eines hochgradigen Glioms begünstigen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass bei den meisten Patienten keine krankheitsbegünstigenden Faktoren bekannt sind.
In der Regel entwickeln sich Krankheitszeichen (Symptome) bei Kindern und Jugendlichen mit hochmalignem Gliom aufgrund des schnellen Tumorwachstums im Laufe von wenigen Wochen oder Monaten. Die Symptome, die bei einem hochmalignen Gliom auftreten können, richten sich (wie bei anderen Arten von ZNS-Tumoren) vor allem nach dem Alter des Patienten und danach, wo sich der Tumor im Zentralnervensystem befindet und wie er sich ausbreitet. Dabei werden allgemeine (unspezifische) und lokale (spezifische) Krankheitszeichen unterschieden.
Unspezifische Allgemeinsymptome treten unabhängig von der Lage des Tumors auf und ganz generell auch bei anderen Krankheiten, die nichts mit einem ZNS-Tumor zu tun haben. Sie äußern sich zum Beispiel in Kopf- und/oder Rückenschmerzen, Schwindelgefühlen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen (bei einem Hirntumor typischerweise unabhängig von der Nahrungsaufnahme [Nüchternerbrechen] und oft morgens und im Liegen), Gewichtsverlust, zunehmender Müdigkeit, Leistungsknick, Konzentrationsstörungen und Wesensveränderungen.
Die Ursache für diese Symptome ist meist der langsam zunehmende Druck im Schädelinneren (oder Rückenmarkskanal), der direkt durch den wachsenden Tumor bedingt ist und/oder durch eine vom Tumor verursachte Zirkulations- oder Abflussstörung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor). Letztere kann auch zur Bildung eines so genannten "Wasserkopfes" (Hydrocephalus) führen. Dieser kann bei Babys und Kleinkindern mit noch offenen Fontanellen unter anderem durch eine verstärkte Zunahme des Kopfumfanges (Makrocephalus) auffallen.
Lokale (spezifische) Symptome können Hinweise darauf geben, wo sich der Tumor im Zentralnervensystem befindet und welche Aufgabenzentren er dort beeinträchtigt. So kann ein hochmalignes Gliom im Bereich des Kleinhirns zum Beispiel Gleichgewichts- und Gangstörungen hervorrufen, während ein Tumor im Großhirn mit Krampfanfällen und ein Tumor im Bereich des Rückenmarks mit verschiedenartigen Lähmungen einhergehen können. Auch andere Beschwerden, wie Seh-, Bewusstseins- und Schlafstörungen, können Hinweise auf die Lage des Tumors geben.
Gut zu wissen: Das Auftreten eines oder mehrerer dieser Krankheitszeichen muss nicht bedeuten, dass ein hochmalignes Gliom oder ein anderer Hirntumor vorliegt. Viele der genannten Symptome können auch bei vergleichsweise harmlosen Erkrankungen auftreten, die mit einem Hirntumor nichts zu tun haben. Bei entsprechenden Beschwerden (zum Beispiel immer wiederkehrenden Kopfschmerzen, bei kleinen Kindern auch bei einer unverhältnismäßig schnellen Zunahme des Kopfumfanges) ist es jedoch ratsam, so bald wie möglich einen Arzt zu konsultieren, um die Ursache zu klären. Liegt tatsächlich ein hochmalignes Gliom oder ein anderer Hirntumor vor, muss schnellstmöglich mit der Therapie begonnen werden.
Findet der (Kinder-)Arzt durch Krankheitsgeschichte (Anamnese) und körperliche Untersuchung Hinweise auf einen bösartigen Tumor des Zentralnervensystems, wird er den Patienten in ein Krankenhaus überweisen, das auf Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist (Klinik für pädiatrische Onkologie/Hämatologie). Denn bei Verdacht auf einen solchen Tumor sind umfangreiche Untersuchungen und die Zusammenarbeit von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen notwendig, um festzustellen, ob tatsächlich ein ZNS-Tumor vorliegt und, wenn ja, um welche Art von Tumor es sich handelt und wie weit sich die Erkrankung im Körper ausgebreitet hat. Die Klärung dieser Fragen ist Voraussetzung für eine optimale Behandlung und Prognose des Patienten.
Zur Diagnosestellung eines hochmalignen Glioms führen – nach erneuter sorgfältiger Anamnese und körperlicher sowie neurologischer Untersuchung – zunächst bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT). Mit Hilfe dieser Methode lässt sich genau feststellen, ob ein Tumor des Zentralnervensystems vorliegt. Auch Lage und Größe des Tumors, seine Abgrenzung zu Nachbarstrukturen und ein Hydrocephalus sind mit diesen Verfahren sehr gut sichtbar.
Bei Kindern mit Verdacht auf Tumoren der Sehbahn erfolgt zudem eine gründliche Untersuchung durch einen erfahrenen Augenarzt. Je nach Krankheits- und Behandlungssituation kommen weitere Untersuchungen hinzu. So kann zum Beispiel eine Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Lumbalpunktion), notwendig sein, um eine Aussaat von Tumorzellen in den Rückenmarkskanal nachzuweisen beziehungsweise auszuschließen.
Zur endgültigen Sicherung der Diagnose muss eine Gewebeprobe entnommen werden (Biopsie). Eine Ausnahme bilden die Hirnstammgliome (Ponsgliome) und die Gliomatosis cerebri, die bereits mit einer Magnetresonanztomographie und anhand bestimmter richtungsweisender Symptome mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden können. Eine zusätzliche Gewebeentnahme kann bei Hirnstammgliomen zu einer besseren Charakterisierung dieser Tumoren beitragen und aus diesem Grund empfehlenswert sein, ist aber für die Behandlungsplanung nicht zwingend erforderlich.
Behandlungsvorbereitend erfolgen eine Elektrokardiographie (EKG) und Echokardiographie zur Überprüfung der Herzfunktion sowie eine Elektroenzephalographie (EEG) zur Untersuchung der Gehirnströme beziehungsweise zum Auffinden von Hirngebieten, die durch den Tumor möglicherweise eine erhöhte Tendenz zu Krampfanfällen aufweisen. Auch eine Untersuchung der Hörfunktion (Audiogramm), eine Augenuntersuchung sowie elektrophysiologische Untersuchungen zur Ermittlung der Funktion von Seh-, Hör- und Tastsinn (evozierte Potentiale) können hinzukommen.
Umfangreiche Laboruntersuchungen dienen dazu, den Allgemeinzustand des Patienten zu überprüfen und festzustellen, ob die Funktion einzelner Organe (zum Beispiel Nieren und Leber) beeinträchtigt ist oder Stoffwechselstörungen vorliegen, die vor oder während der Behandlung besonders berücksichtigt werden müssen. Auch die Funktion der Hormondrüsen wird überprüft, um eine Störung durch den Tumor oder durch die Behandlung einschätzen und gegebenenfalls behandeln zu können. Aus demselben Grund können vor Behandlungsbeginn auch neuropsychologische Untersuchungen erfolgen. Veränderungen, die möglicherweise im Laufe der Therapie auftreten, können aufgrund solcher Ausgangsbefunde besser beurteilt werden.
Im Hinblick auf eventuell notwendig werdende Bluttransfusionen erfolgt eine Bestimmung der Blutgruppe erfolgen. Bei Mädchen im geschlechtsreifen Alter (ab der ersten Monatsblutung), muss vor Beginn der Behandlung eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
Gut zu wissen: Nicht alle Untersuchungen sind bei jedem Patienten notwendig. Andererseits können eventuell Untersuchungen hinzukommen, die hier nicht erwähnt wurden. Fragen Sie Ihren behandelnden Arzt oder das Behandlungsteam, welche Untersuchungen bei Ihrem Kind geplant sind und warum die jeweilige Untersuchung erforderlich ist.
Wenn die Diagnose feststeht, erfolgt die Therapieplanung. Um eine möglichst individuelle, auf den Patienten zugeschnittene (risikoadaptierte) Behandlung durchführen zu können, berücksichtigt das Behandlungsteam bei der Planung bestimmte Faktoren, die die Prognose des Patienten beeinflussen (so genannte Risiko- oder Prognosefaktoren).
Wichtige Prognosefaktoren sind zum einen die Art des hochmalignen Glioms, an der der Patient erkrankt ist, zum anderen seine Größe, Lage und Ausdehnung im Zentralnervensystem. Die genaue Kenntnis des Tumortyps lässt auf das Wachstumsverhalten und somit die Bösartigkeit des Tumors schließen (WHO-Grad, siehe Abschnitt „Formen hochmaligner Gliome“), während Tumorlage und -ausdehnung die Operabilität des Tumors beeinflussen. Beide Faktoren wirken unmittelbar auf die Heilungschancen des Patienten ein und haben daher einen wesentlichen Einfluss darauf, welche Therapie als jeweils optimal angesehen wird. Darüber hinaus spielen das Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie sowie das Alter und der Gesundheitszustand des Patienten eine wichtige Rolle. Das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose ist zum Beispiel ausschlaggebend dafür, ob im Rahmen der Behandlung eine Strahlentherapie erfolgt oder nicht.
Alle Risikofaktoren fließen in die Behandlungsplanung ein mit dem Ziel, für jeden Patienten das jeweils bestmögliche Behandlungsergebnis zu erreichen. Die jeweilige Krankheitssituation ist somit ausschlaggebend dafür, nach welchem Therapieplan der Patient in der Regel behandelt wird.
Für Patienten (ab drei Jahren), die an einem besonders bösartigen Gliom erkrankt sind (dazu zählen das Glioblastom WHO-Grad IV, das Diffuse Mittelliniengliom Histon 3 K27M mutiert WHO-Grad IV, das Anaplastische Astrozytom WHO-Grad III, das Diffuse intrinsische Ponsgliom und die Gliomatosis cerebri) ist eine intensive Behandlung vorgesehen, die in der Regel im Rahmen von Therapiestudien durchgeführt wird (siehe Kapitel „Behandlung“ und „Therapieoptimierungsstudien“).
Therapiepläne für Patienten mit einem der selteneren Grad-III-Gliome (dazu gehören Anaplastisches Oligodendrogliom, Anaplastisches Oligoastrozytom, Anaplastisches Gangliogliom oder Anaplastisches pleomorphes Xanthastrozytom) sehen, aufgrund der verhältnismäßig günstigen Prognose dieser Tumoren, eine weniger intensive Therapie vor. Kinder, die unter drei Jahre alt sind, werden wiederum nach dem so genannten Säuglingsprotokoll behandelt, welches eine Behandlung ohne Strahlentherapie beinhaltet.
Die Behandlung eines Patienten mit hochmalignem Gliom muss in einer kinderonkologischen Behandlungseinrichtung erfolgen. Dort ist das hoch qualifizierte Fachpersonal (Ärzte, Fachpflegekräfte) auf die Behandlung krebskranker Kinder spezialisiert und mit den modernsten Therapieverfahren vertraut. Die Ärzte dieser Klinikabteilungen stehen in fachorientierten Arbeitsgruppen in ständiger, enger Verbindung miteinander und behandeln ihre Patienten nach gemeinsam entwickelten und stetig weiter verbesserten Therapieplänen. Ziel der Behandlung ist, eine hohe Heilungsrate bei möglichst geringen Nebenwirkungen und Spätfolgen zu erreichen.
Für Patienten mit einem hochmalignen Gliom stehen als Therapieverfahren die Operation sowie Strahlentherapie und Chemotherapie zur Verfügung. Welche Verfahren angewandt werden, hängt in erster Linie von der Lage und Ausdehnung des Tumors (und somit seiner Operabilität) sowie vom Alter und Gesundheitszustand des Patienten ab.
Die Therapie der Wahl besteht darin, Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie miteinander zu kombinieren. Dabei erfolgt im ersten Schritt die Operation, im zweiten Schritt werden zeitgleich Chemo- und Strahlentherapie (simultan) verabreicht. Die Operation hat hierbei die größte Bedeutung, denn es hat sich gezeigt, dass das Ausmaß der neurochirurgischen Tumorentfernung [Neurochirurgie] den anschließenden Krankheitsverlauf am stärksten beeinflusst. Je radikaler die Tumorentfernung, umso besser ist in der Regel die Überlebenschance des Patienten. Nach dem derzeitigen Wissensstand können Operation und Bestrahlung dazu beitragen, die Lebenszeit des Patienten zu verlängern.
Eine Operation oder Bestrahlung kann jedoch nicht bei allen Kindern durchgeführt werden. Beispielsweise sind Operationen bei vielen Tumoren des Hirnstamms nicht möglich, ebenso wenig eine Bestrahlung bei Kindern unter drei Jahren sinnvoll. Auch ist das mögliche, noch vertretbare Ausmaß einer Tumorentfernung unterschiedlich: Tumoren, die sehr zentral im Gehirn liegen (zum Beispiel Tumoren des Zwischenhirns und Mittelhirns), können nur bedingt oder vielleicht gar nicht herausgenommen werden, da zu viel gesundes Hirngewebe mit entfernt werden müsste und die Folgeschäden zu groß wären.
Im Rahmen vergangener Therapiestudien hat sich gezeigt, dass eine zusätzliche Chemotherapie die Behandlungsergebnisse eventuell verbessern kann. Bisher gibt es allerdings keine Behandlung, die sicher verhindern kann, dass der Tumor nicht in kürzester Zeit erneut wächst. Der wichtigste Schritt vor einer Behandlung besteht darin, eine Entscheidung darüber zu fällen, ob überhaupt eine Behandlung des Patienten erfolgen soll und wenn ja, ob sie auf eine Heilung (kurative Therapie) oder auf Schmerzlinderung (Palliativtherapie) ausgerichtet sein soll. In beiden Fällen ist es empfehlenswert, wenn sich der Patient im Rahmen einer Studie behandeln lässt.
Im Folgenden wird die aktuelle Standardtherapie-Empfehlung für Kinder und Jugendliche ab drei Jahren mit hochmalignem Gliom (Grad-IV-Gliome, anaplastisches Gliom Grad III, Ponsgliom, Gliomatosis cerebri) vorgestellt. Die Behandlungsempfehlung für Kinder unter drei Jahren weicht von dieser Therapieempfehlung vor allem dadurch ab, dass keine Strahlentherapie durchgeführt wird. Informationen zur Behandlung gemäß Therapieoptimierungsstudie HIT-HGG 2013, die im Frühjahr 2018 eröffnet wurde, erhalten Sie im Abschnitt zur „Behandlung nach Studie HIT-HGG 2013".
Der erste Schritt bei der Behandlung eines Patienten mit hochmalignem Gliom ist die möglichst radikale beziehungsweise maximal mögliche operative Entfernung des Tumors (Tumorresektion). Eine Ausnahme bilden die Hirnstammgliome und die Gliomatosis cerebri, die aufgrund ihrer Lage beziehungsweise ihres Wachstumsverhaltens inoperabel sind.
Im Anschluss an die Operation oder, wenn der Tumor nicht operabel ist, an Stelle der Operation erfolgen eine Strahlentherapie und Chemotherapie. Die Behandlung besteht aus zwei großen Behandlungsabschnitten: der Induktionsphase (Anfangsbehandlung; Induktionstherapie) und der Erhaltungsphase (Konsolidierungstherapie). Beide Behandlungsabschnitte sind wiederum in mehrere Therapieblöcke unterteilt.
Die Induktionstherapie beginnt etwa zwei bis vier Wochen nach einer Operation beziehungsweiser einer bildgebenden Diagnose. Sie dauert sechs bis sieben Wochen und zielt darauf ab, einen nicht (vollständig) operablen Tumor so weit wie möglich zu verkleinern oder die nach einer kompletten Tumorentfernung möglicherweise im Körper verbliebenen Tumorzellen zu zerstören. Wesentliches Element ist die gleichzeitig durchgeführte (simultane) Strahlen- und Chemotherapie.
Im Rahmen der Strahlentherapie werden über einen Zeitraum von sechs bis sieben Wochen tägliche Strahlendosen von 1,8 Gy von außen auf die zu behandelnde Region eingestrahlt. Die Gesamtstrahlendosis richtet sich nach dem Alter des Patienten und der Lage des Tumors: Bei Kindern unter sechs Jahren beträgt die Gesamtstrahlendosis 54 Gy, bei Kindern ab sechs Jahren 59,4 Gy. Bei Patienten mit einem Gliom des Hirnstamms (Ponsgliom) wird die Gesamtstrahlendosis auf 54 Gy begrenzt. Die Bestrahlung erfolgt an fünf Tagen die Woche, die Wochenenden bleiben in der Regel bestrahlungsfrei.
Die Chemotherapie besteht aus einer Behandlung mit der Substanz Temozolomid (Temodal®), die vom ersten bis zum letzten Tag der Bestrahlung jeden Abend in Kapselform eingenommen wird. Dies gilt auch für die Wochenenden, auch wenn an Wochenendtagen nicht bestrahlt wird. An die Bestrahlung und parallele Chemotherapie schließt sich eine vierwöchige Therapiepause an. Sie dient der Erholung des Patienten.
Die Erhaltungs- oder Konsolidierungstherapie beginnt etwa vier Wochen nach Abschluss der Induktionstherapie, also im Anschluss an die Erholungsphase. Sie ist eine reine Chemotherapie und dauert etwa ein Jahr. Ihr Ziel ist, die durch die Induktionstherapie erzielten Ergebnisse zu erhalten oder sogar zu verbessern.
Verabreicht wird wiederum Temozolomid. Das Medikament ist zunächst doppelt so hoch dosiert wie während der Bestrahlung und kann bei guter Verträglichkeit sogar noch in der Dosierung gesteigert werden. Die Therapie wird aber nur über jeweils fünf Tage durchgeführt, gefolgt von einer 23-tägigen Erholungsphase. Das bedeutet, dass die Temozolomid-Behandlung alle 28 Tage (vier Wochen) wiederholt wird, insgesamt zwölfmal. Der Behandlungserfolg wird durch regelmäßige MRT-Kontrollen überprüft.
Manchmal kommt es vor, dass der Tumor nach Abschluss der Therapie, eventuell auch bereits nach Beendigung der Induktionstherapie, operabel geworden ist und zu diesem Zeitpunkt dann vollständig entfernt werden kann. Wenn der Tumor wieder oder trotz aller Therapie weiterwächst, hilft die Standardtherapie nicht mehr. Der Patient kann dann, je nach individuellem Krankheitsverlauf, nach einer der aktuellen Therapieempfehlungen für Rezidive behandelt werden.
In den großen Behandlungszentren werden Kinder und Jugendliche mit hochmalignem Gliom gemäß standardisierter Therapieprotokolle behandelt, die eine Verbesserung der Überlebenschancen dieser Patienten zum Ziel haben. Die Behandlung nach solchen Therapieprotokollen erfolgt in aller Regel im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien. Therapieoptimierungsstudien sind kontrollierte Studien, die das Ziel haben, erkrankte Patienten nach dem jeweils aktuellsten Wissensstand zu behandelt und gleichzeitig die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern und weiter zu entwickeln.
Derzeit stehen in Deutschland (mit internationaler Beteiligung) folgende Therapieoptimierungsstudien beziehungsweise Therapieempfehlungen für Patienten mit einem hochmalignen Gliom, Ponsgliom oder einer Gliomatosis cerebri zur Verfügung:
Geplantes Register: Für das Jahr 2022 ist die Eröffnung eines Registers geplant, das neben der Erfassung von Kindern unter drei Jahren für alle Patienten offenstehen soll, die nicht im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie HIT-HGG 2013 behandelt werden. Dazu zählen unter anderem Kinder und Jugendliche, die an einem der selteneren Grad-III-Tumoren erkranken (zum Beispiel einem anaplastischen Oligodendrogliom, anaplastischen Oligoastrozytom, anaplastischen Gangliogliom oder anaplastischen Xanthastrozytom). Die Studienzentrale wird auch für diese Patienten Therapieempfehlungen anbieten, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Somit werden für Patienten aller Altersgruppen und Diagnosen Empfehlungen von Seiten der Studienzentrale zur Verfügung stehen.
Die Behandlung im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie HIT-HGG 2013 basiert auf der derzeitigen Standardtherapie, die aus einer Operation (sofern möglich) und einer sich daran anschließenden kombinierten Strahlen-/Chemotherapie (mit dem Medikament Temozolomid) besteht. Diese Therapie wurde in der vorherigen Studie HIT-HGG 2007 erstmalig bei Kindern und Jugendlichen getestet und und scheint nach bisherigen Erkenntnissen ebenso wirksam zu sein wie die früher eingesetzten Chemotherapien mit mehreren Medikamenten, bei geringeren behandlungsbedingten Nebenwirkungen und Spätfolgen.
Da die Behandlungsergebnisse für Patienten mit einem hochgradig malignen Gliom (inklusive der Hirnstammgliome und der Gliomatosis cerebri) nach wie vor unbefriedigend sind, war im Rahmen der neuen Studie zunächst vorgesehen, zusätzlich zur Standardbehandlung zwei neue Medikamente in zwei unterschiedlichen Behandlungsarmen auf ihre Wirksamkeit zu testen und so miteinander zu vergleichen: In einem der Behandlungsarmen wurde zu Beginn der Studie das Epilepsiemittel Valproat eingesetzt, im anderen das Malariamittel Chloroquin. Beide Medikamente (die schon seit Jahrzehnten in anderem Zusammenhang angewendet werden) haben, wie erst vor kurzem festgestellt wurde, eine Anti-Tumorwirkung. Die Zuordnung der Studienteilnehmer zu einem der beiden Therapiearme erfolgte nach dem Zufallsprinzip (so genannte Randomisierung). Leider wurde der Vertrieb von Chloroquinphosphat im Juli 2019 eingestellt. Der Chloroquin-Therapiearm musste daher geschlossen werden, und die Studie wird seither nur noch mit dem Medikament Valproat fortgeführt. Eine Randomisierung ist somit nicht mehr nötig und entfällt.
Die Studie soll zeigen, ob das Zusatzmedikament die Wirkung der derzeitigen Strahlen- und Chemotherapie so entscheidend verstärken kann, dass insgesamt eine bessere Überlebensrate erzielt wird.
Die Behandlung mit Valproat erfolgt in Tablettenform oder als Suspension und beginnt so früh wie möglich, das heißt, sobald der Tumor diagnostiziert ist (feingeweblich nach Operation oder, wenn keine Operation möglich ist, per Bildgebung). Das Medikament wird täglich, ohne Pause, über den gesamten Behandlungszeitraum von mindestens 58 Wochen (oder länger) verabreicht.
Etwa zwei Wochen nach der Operation (beziehungsweise zu einem Zeitpunkt, der als "Woche 0" definiert wird) erfolgt zusätzlich die Standardbehandlung, das heißt die Strahlentherapie mit täglicher Temozolomid-Chemotherapie über sechs bis sieben Wochen (Induktionstherapie), gefolgt von einer alleinigen, etwa einjährigen Temozolomid-Behandlung (Erhaltungstherapie). Informationen zur Standardtherapie erhalten Sie im Abschnitt "Behandlungsablauf (Standardtherapie bei Patienten ab 3 Jahren)".
Die Prognose von Kindern und Jugendlichen mit einem hochmalignen Gliom ist trotz verbesserter Diagnose- und Behandlungsverfahren ungünstig. Die Überlebenswahrscheinlichkeit (5-Jahres-Überlebensrate) liegt bei insgesamt etwa 10 bis 19 %. Letztlich ist sie jedoch abhängig von der Lage und Art des Tumors und vom Ausmaß der Tumorentfernung: Sie schwankt daher zwischen circa 50 % bei komplett entfernten Tumoren und 0 % bei Patienten, bei denen überhaupt keine Therapie möglich ist. Säuglinge und Kleinkinder haben zum Teil eine deutlich bessere Prognose.
Prinzipiell ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass selbst nach erfolgreicher Erstbehandlung des Tumors ein Krankheitsrückfall (Rezidiv) auftritt. Die Prognose ist in diesem Fall noch ungünstiger als bei Patienten, die erstmalig an einem hochmalignen Gliom erkrankt sind. Eine erneute Behandlung kann zwar erwogen werden, die Intensität der Therapie wird aber angesichts der geringen Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten sehr sorgsam bedacht. Die Erhaltung einer möglichst guten Lebensqualität gewinnt bei der Behandlung eines Patienten mit Rezidiv noch größere Bedeutung als bei der Erstbehandlung. Im Rahmen der derzeitigen Therapieoptimierungsstudien sowie zukünftiger Studien wird versucht, die Prognose für Patienten mit hochmalignen Gliomen und Ponsgliomen stetig weiter zu verbessern.
Anmerkung: Bei den genannten Überlebensraten handelt es sich um statistische Größen. Sie stellen nur für die Gesamtheit der an dieser Form der Hirntumoren erkrankten Patienten eine wichtige und zutreffende Aussage dar. Ob der einzelne Patient geheilt werden kann oder nicht, lässt sich aus der Statistik nicht vorhersagen.
Der Begriff Heilung muss hier vor allem als „Tumorfreiheit“ verstanden werden. Denn auch wenn die heute verfügbaren Therapiemethoden bei einem Teil der Patienten zur Tumorfreiheit führen können, so sind sie doch meist auch mit unerwünschten Nebenwirkungen und Spätschäden verbunden. Diese erfordern eine langfristige medizinische Betreuung und in der Regel auch eine intensive Rehabilitation.
Die hier vermittelten Informationen sind vor allem auf der Grundlage der unten angegebenen Literatur, unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien und Therapiepläne zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit hochmalignem Gliom und in Zusammenarbeit mit der HIT-HGG-Studienzentrale erstellt worden. Detaillierte Informationen zum Thema erhalten Sie im ausführlichen Patiententext zum hochmalignen Gliom in unserem Informationsportal www.kinderkrebsinfo.de. Bei weiteren Fragen können Sie jederzeit Ihren behandelnden Arzt ansprechen.
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