Interview mit Trauer-Expertin Tina Geldmacher

Über die Trauerarbeit und -begleitung verwaister Familien

Anmeldung zum Trauerwochenende der Deutschen Kinderkrebsstiftung für Großeltern

Trotz all der optimistisch stimmenden Zahlen und Forschungsergebnisse der letzten Jahre können wir leider noch immer nicht jedes an Krebs erkrankte Kind heilen. Jedes zweite Kind stirbt an dieser heimtückischen Krankheit. Für betroffene Familien werden mit dem Tod des Kindes die allerschlimmsten Befürchtungen, die von der Diagnose an wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte, wahr. Es beginnt für sie eine furchtbar schwere Zeit des Trauens und Abschiednehmens.

Jeder Mensch trauert dabei anders über den Verlust des geliebten Kindes (oder eines anderen Herzensmenschens). Und auch wenn Trauer sehr persönlich und individuell ist, können trauernde Menschen während dieses Prozesses begleitet werden. Wir haben mit Trauer-Expertin Tina Geldmacher von Kölntrauer darüber gesprochen, was Trauerarbeit überhaupt ist, warum sie so wichtig ist und was sie bewirken kann.

„Ich möchte die Betroffenen direkt unterstützen.“

Trauer-Expertin Tina Geldmacher

DKS: Welche Ausbildung haben Sie?

Tina Geldmacher: Ich bin gelernte Sonderpädagogin und habe u. a. über 10 Jahre in einer Förderschule gearbeitet. Nach dem Tod unseres Sohnes 2005 habe ich 2009 die Schule verlassen und die Qualifizierung zur Trauerbegleitung (BVT) begonnen. Seit 2011 arbeite ich nun in diesem Bereich. Um meine beraterischen Fähigkeiten weiter auszubauen, habe ich mich berufsbegleitend zur systemischen Beraterin/Familienberaterin (DGSF) weitergebildet. Während dieser Zeit, in der ich zusätzlich in der ambulanten Familienhilfe gearbeitet habe, konnte ich viele Erfahrungen mit Familien in Krisen sammeln. Zusätzlich bin ich zertifizierte Onlineberaterin und habe u. a. die Mailberatung LeuchtturmON#OnKo (Anm. d. Red.: gefördert durch die Deutsche Kinderkrebsstiftung) zusammen mit meiner Kollegin vom Leuchtturm e. V. aufgebaut. Und weil ich vom Lernen nicht genug bekommen kann, werde ich im Jahr 2025 die Fortbildung zur Supervisorin beginnen.

DKS: Was bewirkt professionelle Trauerarbeit und warum ist sie wichtig?

Tina Geldmacher: Eines vorweg: Professionelle Trauerbegleitung ist für mich weniger eine Frage der Bezahlung als der Haltung und des Wissens. Oft sage ich zu Beginn einer Beratung, dass ich es als meinen Job ansehe, mich überflüssig zu machen. Für mich bedeutet professionelle Begleitung oder Beratung, die Trauernden ein Stück auf ihrem Weg durch die Trauer zu begleiten. Es gibt Menschen, die keine professionelle Begleitung brauchen. Wenn Trauernde den Prozess nicht allein bewältigen können, ist es wichtig, professionelle Begleitung in Anspruch nehmen zu können. Expertinnen und Experten sollten das Wissen über den Trauerprozess und seine Stolpersteine haben. Sie haben die Kompetenz, hilfreiche Interventionen zu setzen und die Trauernden da zu unterstützen, wo es notwendig ist. Auch wenn Trauer keine Krankheit ist, kann sie unter bestimmten Umständen, z. B. wenn der Trauerprozess stagniert, durchaus krank machen. Experten müssen dann erkennen, ob eine gute und professionelle Begleitung ausreicht oder ob eine Therapie nötig ist.

Professionelle Begleitung kann auch bei einer, wie wir es nennen, erschwerten Trauer helfen, den schweren Verlust in das Leben zu integrieren. Denn darum geht es: Der Verlust eines Kindes reißt den Betroffenen den Boden unter den Füßen weg. Die Familie gerät aus der Balance. Der Trauerprozess ist ein gesunder und natürlicher Prozess, den wir unterstützen, ähnlich wie bei jemandem, der lernt, auf einer Slackline zu balancieren – zuerst mit viel Hilfe, später mit weniger.

Fortsetzung Interview siehe unten

Zusammen mit Stefanie Baldes (links, Vorstand Deutsche Kinderkrebsstiftung) bietet Tina Geldmacher unter anderem Trauerseminare für verwaiste Familien an.

Termine für Trauernde

Einen Überblick über alle unsere Veranstaltungen zum Thema Trauer für die verschiedenen Zielgruppen – Familien, junge Menschen, Großeltern – finden Sie unter „Events & Termine“.

Fortsetzung Interview

DKS: Wie gehen Sie bei der Trauerarbeit konkret vor?

Tina Geldmacher: Zunächst möchte ich die Menschen und ihre Verlustgeschichte kennenlernen, weshalb ich mit Trauernden ein Erstgespräch führe. Dabei erfrage ich u. a. Ressourcen und Risikofaktoren, die den Trauerprozess beeinflussen. Je mehr Risikofaktoren und weniger Ressourcen es gibt, umso höher die Chance auf eine erschwerte Trauer. Wenn der Verlust frisch ist, liegt der Fokus auf Stabilisierung und den aktuell wichtigen Themen im Leben der Trauernden. Danach beginnt die inhaltliche Arbeit, meist über Gespräche, ergänzt durch alternative Interventionen, kreative, schreibbasierte oder körperliche Übungen, die neue Denkprozesse in Gang bringen können.

Mit Kindern und Jugendlichen arbeite ich eher handlungsorientiert, z. B. durch Aktivitäten, die den Zugang zu ihnen erleichtern. Wichtiger als bei Erwachsenen ist es dabei, mich auf Augenhöhe zu begeben und mich wirklich für sie zu interessieren. So bekomme ich einen Zugang zu Kindern und besonders zu Jugendlichen. 

Daraus resultiert Folgendes: Es gibt für mich keinen festen Plan, wie eine Begleitung aussieht. Das hängt von den Menschen und deren Situation ab. Ich schaue mit den Trauernden daher  individuell danach, welche Themen anstehen und wie ich sie dabei unterstützen kann, den Prozess zu gestalten. Aufgaben wie Gefühlsarbeit, Ressourcensuche und das Wiedererlangen von Handlungsfähigkeit bearbeite ich jedoch meist mit allen Trauernden gemeinsam. Manchmal gelingt die Arbeit in einer Einzelbegleitung, manchmal bevorzugen Trauernde den Austausch in der Gruppe.

DKS: Warum liegt Ihnen das Thema persönlich so sehr am Herzen?

Tina Geldmacher: Das Thema begleitet mich schon lange. Während meines Studiums habe ich Seminare zu Sterben, Tod und Trauer besucht, doch in der Schule wurde mir die Realität schmerzlich bewusst: Schülerinnen und Schüler mit fortschreitenden Erkrankungen, die sich durchaus der eigenen Endlichkeit bewusst waren. Es gab immer wieder Todesfälle während der Schulzeit. Ich fühlte mich unvorbereitet. Leider hatte ich keine Chance, mich hier selbst unbelastet weiterzuentwickeln: Unser Sohn erkrankte an einem Neuroblastom und verstarb im selben Jahr.

Das Thema liegt mir also aus mehreren Gründen sehr am Herzen. Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus möchte ich andere Betroffene unterstützen, weil ich selbst damals kaum Hilfe hatte. Eine professionelle Unterstützung hätte mir persönlich sicher gutgetan. Gleichzeitig möchte ich das Thema in der Öffentlichkeit präsenter machen, um Ängste abzubauen und Menschen zu einem offeneren Umgang mit Trauernden zu ermutigen – ein stabiles Umfeld ist für eine Verarbeitung nämlich entscheidend.

Frau Geldmacher, wir danken Ihnen sehr für das ausführliche Interview!