Diese Frage beschäftigt uns seit Monaten. Selbstverständlich widmet sich die Forschung auch diesem Thema, doch belastbare Zahlen speziell zu pädiatrischen Krebspatienten sind noch begrenzt. Eine Rezension der bislang vorliegenden Daten zu Erkrankungszahlen und Verläufen bei gesunden Kindern legte bereits den Schluss nahe, dass gesunde Kinder seltener einen schweren Krankheitsverlauf entwickeln als Erwachsene. Nachzulesen hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7228328/
Eine Analyse im Rahmen des krankenhausinternen Hygiene- und Vorsorgekonzeptes eines kinderonkologischen Krankenhauses in Manhattan, New York, auf die sich auch ein Beitrag im Deutschen Ärzteblatt bezog, scheint dies auch in Bezug auf krebskranke Kinder zu bestätigen. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112914/Krebskranke-Kinder-haben-kein-erhoehtes-Risiko-auf-COVID-19
Am Memorial Sloan Kettering Cancer Center Manhattan, New York, wurden zwischen dem 10. März und dem 12. April 2020 Patienten, die sich aus unterschiedlichen Gründen in der Kinderonkologie vorstellten, sowie deren Erziehungsberechtigte im Rahmen eines krankenhausinternen Screeningplans untersucht. Alle Patienten und deren Begleitpersonen, die Kontakt zu an COVID-19 Erkrankten hatten und/oder selbst mögliche Symptome einer COVID-19 Erkrankung aufwiesen, sowie symptomlose Patienten, die sich zur Chemotherapie oder zu einem mit einer Narkose verbundenen Eingriff vorstellten, wurden mit dem aktuell üblichen Nachweisverfahren einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 (RT-PCR-Assay) gescreent. Die Ergebnisse wurden am 13. Mai 2020 in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlicht – hier der Link zum vollständigen Artikel: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7221844/
Insgesamt wurden 335 Personen getestet. 17 von 58 Kindern (29,3 %), die mögliche Symptome der Erkrankung COVID-19 zeigten, waren tatsächlich mit SARS-CoV-2 infiziert. Die meisten Kinder waren jedoch nur leicht erkrankt und konnten ambulant behandelt werden. Nur ein Kind musste wegen COVID-19 ins Krankenhaus aufgenommen werden. Es befand sich jedoch nicht in einem kritischen Zustand. Von 120 Kindern, die keine Symptome von COVID-19 zeigten, wurden nur 3 (2,5 %) positiv auf das Virus getestet. Die Infektionsrate unter den erziehungsberechtigten Begleitpersonen lag mit 17,6 % deutlich höher.
Obwohl die Zahl der Untersuchten zu gering ist, um eine abschließende wissenschaftliche Aussage zuzulassen, so deutet die Untersuchung am Memorial Sloan Kettering Cancer Center doch darauf hin, dass pädiatrische Patienten mit Krebs nicht grundsätzlich gefährdeter sind, sich mit dem SARS-Co-V-2 Virus zu infizieren bzw. einen schweren Erkrankungsverlauf zu entwickeln als gesunde Kinder. Es scheint, dass SARS-CoV-2 damit eine Ausnahme darstellt im Vergleich zu anderen Atemwegsviren (z.B. Influenza, Respiratory Syncytial Virus, Parainfluenzavirus Typ III, Humanes Metapneumovirus), die bei Kindern mit Krebserkrankungen lebensbedrohliche Infektionen hervorrufen können.
Selbstverständlich darf diese Beobachtung nicht dazu führen, dass Hygiene- und Schutzmaßnahmen nicht mehr konsequent eingehalten werden, zumal Ziel dieser Maßnahmen eben auch ist, nicht nur Krebspatienten, sondern auch das medizinische Personal zu schützen und somit die Versorgung aufrecht erhalten zu können.
In einer gemeinsamen Stellungnahme der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und der Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) vom 31.03.2020 hieß es dazu:
„(…)Nach bisherigem Kenntnisstand zur Dauer der Ausscheidung von Atemwegsviren ist es sehr wahrscheinlich, dass bei hochgradig immunsupprimierten Patienten die Ausscheidungsdauer vermehrungsfähiger SARS-CoV-2 signifikant verlängert ist. Ein einziger Fall eines unerkannten SARS-CoV-2 -positiven Patienten auf einer kinderonkologischen Station würde massive Probleme der Eindämmung nach sich ziehen, obwohl die Zahl der Begleitpersonen bereits auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert wurde. (…) Wenn es im Krankenhaus zu einer unerkannten Exposition* des Pflegepersonals gegenüber SARS-CoV-2 und nachfolgend zu nosokomialen** COVID-19 beim Pflegepersonal kommt, kann durch den Wegfall dieser hochqualifizierten und spezialisierten Pflegekräfte die stationäre Versorgung in der Kinderonkologie nicht mehr gewährleistet werden. (…)Die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) empfehlen deshalb, kinderonkologische Patienten während der Therapie weiterhin als Hochrisikopatienten für Infektionen anzusehen, was bis zum Beweis des Gegenteils auch für Infektionen mit SARS-CoV-2 gilt. Neben den allgemein üblichen und empfohlenen Schutzmaßnahmen werden spezifische Regelungen wie Besuchszeiten, Schutzmasken und Indikation zur Testung von den lokalen Institutionen vorgegeben und in kurzen Abständen an offiziellen Empfehlungen, wie z. B. durch das Robert Koch-Institut angepasst.“
*Exposition: in der Medizin steht Exposition für das Ausgesetztsein von Lebewesen gegenüber schädigenden Einflüssen
**Nosokomiale Infektion: Krankenhausinfektion